Wir setzen zu sehr darauf, dass es irgendwann wieder besser wird
Eine Allee aus Winter- und Sommer-Linden steht in diesem Artikel exemplarisch für die zunehmenden Herausforderungen urbaner Baumstandorte unter klimatischen Extrembedingungen. Neben der Trockenheit spielen dabei auch vielfach unbeachtete Faktoren wie Aufgrabungen im Wurzelraum eine Rolle. Doch wir Kontrolleur:innen werden damit oft allein gelassen, wenn die Kassen knapp sind.
Seit Sommer 2022 fällt mir im Zuge der jährlichen Untersuchung einer 80-jährige Lindenallee in einer bayerischen Gemeinde EIN Faktor besonders auf: Baumkontrolle wird immer ungewisser.
Die Bäume stehen entlang eines alten Verbindungswegs. Unbewässert, auf stark verdichteten Böden und in voller Südsonne. Die anhaltende Trockenheit von April bis September 2022 sowie die hohe Hitzeeinwirkung führten zu ersten Symptomen: frühzeitiger Laubverlust, lichte Kronenbereiche, Totholzbildung. Zwei Jahre nach der langanhaltenden Trockenheit aus 2022 ließ die Verankerung einer Linde plötzlich nach, ohne markante oberirdische Verdachtsmomente bei der visuellen Baumkontrolle, aber nachweislicher unterirdischer Weißfäule. Weitere Bäume litten im direkten Folgejahr (2023) sichtbar, zeigten Vitalitätsverluste. Einige erholten sich, manche nicht.
Abb. 1: Lindenallee an trocken-heißem Standort in Nordbayern
Ein Mosaik aus Hoffnung, Risiko, (nahendem) Verlust und Fällungen. Totalausfälle neben vitalen Individuen in einem Bereich der auch im Wurzelraum stark belastet ist.
Die zentrale Frage: Wie unterschiedlich reagieren Bäume auf Trockenstress und Verlust von Wurzelmasse nach Eingriffen und was bedeutet das für die Prognose in der Baumkontrolle?
Die Antwort: Es ist komplex.
Trockenstress ist mehrstufig: Drei Arten von Stress
Nicht nur wir Menschen reagieren sensibel auf Stress, auch Stadtbäume stehen zunehmend unter Druck. Was in der Agrarforschung längst untersucht wird, rückt nun auch in der Stadtökologie in den Fokus: Pflanzen, insbesondere Bäume, sind keine starren Objekte, sondern komplexe Organismen mit fein abgestimmten Reaktionsmechanismen.
In der Pflanzenphysiologie unterscheidet man drei zentrale Stressarten.
- Verwirrung: durch abrupte Wetterumschwünge wie milde Winter mit Spätfrost oder Dauerbeleuchtung. Die Folge: gestörte physiologische Abläufe
- Mehrfachbelastung: Trockenheit, Hitze und Schädlingsdruck in Kombination. Einzelne Faktoren sind kompensierbar, in Summe jedoch oft überfordernd.
- Fehlende Erholung: besonders tückisch, da unsichtbar. Ohne ausreichende Regenerationsphasen summiert sich der Stress, mit Langzeitfolgen.
Diese Erkenntnisse aus der Nutzpflanzenforschung gelten auch für Bäume. Pflanzen regulieren ihre physiologischen Prozesse feinsinnig, doch unter multiplen Stressoren kann ein Gleichgewicht zusammenbrechen. Bei Bäumen verlaufen diese Prozesse langsamer, aber nicht minder folgenschwer.
Reaktionen von Bäumen: Drei Strategien
- Vermeidung. Wasser sparen, Stoffwechsel drosseln
Sinkt der Bodenwassergehalt, schließen Pflanzen ihre Spaltöffnungen. Passiv oder aktiv. Das reduziert den Wasserverlust, aber auch die Photosynthese.
Für den Baum bedeutet das: kaum Wachstum, kein Energieüberschuss.
- Toleranz. Zellschutz auf Kosten der Reserven
Pflanzen stabilisieren ihre Zellstrukturen, bilden Schutzmoleküle, mobilisieren Reserven. Doch ist der Vorrat erschöpft, kann die Neubildung von Feinwurzeln stoppen. Der Baum bleibt im Überlebensmodus.
- Kollaps. Die Hydraulik versagt
Bei starker Trockenheit kann es zur Kavitation kommen: Lufteintritt in die Leitungsbahnen (Xylem) unterbricht den Wasserfluss. Diese Embolien sind irreversibel, der Baum verdurstet, selbst bei wieder verfügbarem Wasser. Diese Form des Kollapses tritt bei Stadtbäumen vermutlich immer häufiger auf aufgrund von initialen Trockenereignissen.
Abb. 2: Hydraulische Probleme nach Trockenheit bei einem Eingriffeligen Weißdorn an einem anderen Standort zur Veranschaulichung
Vielschichtige Ursachen. Kein einfacher Schuldiger
Das Überleben eines Baumes hängt nicht nur von seiner Artzugehörigkeit ab, wie die fast einheitliche Allee zeigt. Entscheidend sind vielmehr eine Vielzahl weiterer Faktoren, die zusammenspielen und die ganz persönliche individuelle Stressresilienz beeinflussen:
- die Vitalität und der Gesundheitszustand VOR dem Stressereignis,
- Bodenverhältnisse, insbesondere Struktur und Wasserspeicherfähigkeit, sowie die Qualität und der Umfang des Wurzelraums
- der Anteil und die Tiefe des Feinwurzelwerks, das für Wasser- und Nährstoffaufnahme essenziell ist
- die Nährstoffverfügbarkeit und Bodenfruchtbarkeit, die die Regenerationsfähigkeit unterstützen
- ganz wichtig: genetische Unterschiede zwischen einzelnen Bäumen, die ihre Anpassungsfähigkeit beeinflussen
Hinzu kommen externe Einflüsse wie mechanische Schäden durch Aufgrabungen im Wurzelbereich die je Baum unterschiedlich stark sein können, aber die Stabilität und Wasseraufnahme natürlich weiter beeinträchtigen können.
Generell über die Zeit gesehen:
(Epi-)Genetische Anpassungsmechanismen gezogen in den Baumschulen, die es Bäumen ermöglichen, auf Umweltstress flexibel zu reagieren und über Generationen hinweg Resilienz aufzubauen.
Abb. 3: Alleedurchmischung mit Klimabaumarten um Stress im Zuge des Klimawandels zu reduzieren (hier Silber-Linde)
Die Beobachtungen an der Lindenallee verdeutlichen diese Komplexität: Während sich einige Bäume nach den Extrembelastungen stabilisierten bleiben andere dauerhaft geschwächt und zeigten ein deutlich erhöhtes Ausfallrisiko – noch immer.
Abb. 4: eine der Linden aus der Allee mit stark reduzierter Vitalität
Trockenheit als individueller Härtetest
Trockenstress ist kein singuläres Ereignis, sondern ein dynamischer Prozess. Für die Stadtbaumforschung bedeutet das:
Wir brauchen mehr Wissen über physiologische Abläufe und daraus abgeleitete Pflegekonzepte bei mulitikausalem Stress. Reines Gießen oder hoffnungsvolle Baumartenauswahl reichen nicht.
Erforderlich sind:
- standortspezifische Bodenanalysen und Klimaprognosen
- strukturiertes Monitoring
- kluge Wasserstrategien
- flexible Pflege in Stressjahren (auch von Altbäumen)
- Berücksichtigung epigenetischer Resilienz
Unsichtbarer Stress: Eingriffe im Wurzelraum verschärfen die Krise
Neben klimatischen Extremereignissen wie Hitze, Dürre und Starkregen die laut IPCC in Zukunft zunehmen, geraten Stadtbäume zunehmend auch durch menschengemachte Einwirkungen unter Stress. Das belastet zusätzlich.
Gleichzeitig nimmt die Zahl der Tiefbauaktivitäten zu, etwa im Zuge des flächendeckenden Ausbaus von Glasfasernetzen, Versorgungsleitungen und Smart-City-Projekten, die massiv in den unterirdischen Lebensraum der Bäume eingreifen.
Was oberflächlich wie punktuelle Eingriffe erscheint, summiert sich für unsere Allee im Planbeispiel zu einem dauerhaften Belastungsszenario: Aufgrabungen im Kronentraufbereich, also dort, wo der Feinwurzelanteil am höchsten ist, zerstören nicht nur mechanisch wichtige Wurzelbereiche, sondern stören auch die mykorrhizalen Netzwerke (falls vorhanden), die für die Nährstoffversorgung und Resilienz des Baums zentral sind und fördern das Eindringen von Pathogenen, allen voran wurzelbürtigen Pilzen.
Verkabelung trifft auf Vertrocknung
Ein fatales Zusammenspiel. Ein bereits durch Dürre geschwächter Baum verliert durch Bodenverdichtung und Eingriffe in den Wurzelraum zusätzlich seine Möglichkeit zur Regeneration und Abwehr.
Abb. 4: fatale Schädigungen aufgrund fehlender Baubegleitung
Für uns Akteure am Baum, die solche Bäume beurteilen müssen, ergeben sich Problematiken.
Vielleicht noch nicht rechtlich, aber auf der fachlichen Gewissensebene. Oberirdisch ist die Dauerbelastung vielleicht schon zu sehen, oder auch nicht. Unterirdisch ist sie womöglich viel fataler als visuell nachweisbar, oder auch nicht. Für den Baum ist der Zenit vielleicht in der Verankerungsleistung schon überschritten, oder auch nicht.
Wir werden mit all diesen Fragen oft alleingelassen, vor allem wenn keine Eingehenden Untersuchungen gewünscht sind.
Abb. 6: Weißfäule nach dem Baumsturz bei einer der Linden. Unterirdisch existent, oberirdisch in der Baumkontrolle noch nicht
Immer öfter zeigen Presseberichte scheinbar „unerklärliche“ Baumumstürze. Doch eine Betrachtung der Baumumgebung offenbart: Im Zuge von Infrastrukturarbeiten sind neue Fahrradwege, Aufgrabungen, neu asphaltierte Flächen oder andere Hinweise auf verletzte oder gekappte Wurzeln existent, aber häufig undokumentiert.
Die technische Aufrüstung unserer Städte darf nicht auf Kosten der grünen Infrastruktur geschehen. Die Resilienz von Stadtbäumen wird nicht nur in der Krone entschieden, sondern beginnt im Boden.
Hier sind wir gefragt.
Ausblick: Ein System am Kipppunkt
Die Wasserverfügbarkeit wird künftig regional stark schwanken. Das ist keine theoretische Projektion mehr, sondern gelebte Realität. Starkregenereignisse kompensieren nicht die zunehmenden Dürreperioden, sondern können die Situation lokal sogar verschärfen, wenn ausgetrocknete Böden ihr Wasser nicht mehr aufnehmen können.
Auch bei regelmäßig kontrollierten Bäumen häufen sich unerwartete Versagensfälle wie Grünastabbrüche bei bislang unauffälligen Baumarten, Kronenteilversagen oder gar Umkippen scheinbar vitaler Exemplare.
Gleichzeitig setzen Infrastruktureingriffe im Wurzelraum, etwa durch Glasfaserausbau die Wurzelsysteme zusätzlich unter Stress. Was oberirdisch wie ein vitaler Baum erscheint, kann unter der Oberfläche zu einem instabilen, gefährdeten Organismus werden.
Die Last auf den Schultern der Baumkontrolleur:innen – Wo ziehen wir die Grenze?
Vor dem Hintergrund von Klimawandel und Glasfaserausbau, die Bäume in Städten und Kommunen massiv belasten, drängt sich eine entscheidende Frage auf:
Ab wann kann Baumversagen noch als „unvorhersehbar“ gelten, wenn es nicht mehr visuell eindeutig erkennbar, aber systematisch zunimmt?
Und wo beginnt die Pflicht der Verantwortlichen, endlich vorausschauend zu handeln, sowohl für den Erhalt der Bäume als auch für den Schutz der Menschen, die mit ihrer Kontrolle betraut sind?
Aktuell handeln wir häufig so, als würde sich alles von selbst wieder zum Besseren wenden.
Literatur
Anderegg, W. R. L., et al. (2016). When a tree dies in the forest: Scaling climate-driven tree mortality to ecosystem water fluxes. Ecosystems, 19(6), 1133–1147.
https://doi.org/10.1007/s10021-015-9982-1
Balder, H. (1998). Die Wurzeln der Stadtbäume: Ein Handbuch zum vorbeugenden und nachsorgenden Wurzelschutz. Parey, Stuttgart. 180 S.
Haase, D., & Hellwig, R. (2022). Effects of heat and drought stress on the health status of six urban street tree species in Leipzig, Germany. Trees, Forests and People, Volume 8, 100252. https://doi.org/10.1016/j.tfp.2022.100252
IPCC. (2023). Climate Change 2023: The Physical Science Basis. Contribution of Working Group I to the Sixth Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change. Cambridge University Press.
https://www.ipcc.ch/report/ar6/wg1/
Lichtenthaler, H. K. (1996). Vegetation stress: An introduction to the stress concept in plants. Journal of Plant Physiology, 148(1), 4–14. https://doi.org/10.1016/S0176-1617(96)80287-2
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